Qualitätssteigerung in der Pflege benötigt wissenschaftlich fundierte und bedarfsorientierte Fachkraftschlüssel
Pflege und Forschung üben Schulterschluss auf dem 4. EVR-Forum – Gesundheitsministerin Steffens kritisiert Bundesregierung
Bochum, 29.02.16. Ganz im Zeichen eines Schulterschlusses stand am Mittwoch, dem 24. Februar 2016, das 4. Forum des Evangelischen Verbunds Ruhr (EVR). Unter dem Motto „Pflege und Assistenz im Spannungsfeld zwischen Politik und Kostenträgern – Fachkraftquoten auf dem Prüfstand?!“ begrüßte EVR-Vorstand Werner Neveling rund 160 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Im Zentrum der Diskussionen standen die geplante generalistische Pflegeausbildung, die Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege vereinen soll, und der Qualifikationsmix in Einrichtungen sozialer Dienste. Erstmals fand die Veranstaltung in der Hochschule für Gesundheit Bochum (hsg) statt, vor deren symbolträchtiger Kulisse sich Pflegeberuf und -wissenschaft die Hände reichten.
Pflege benötigt Akademisierung und Professionalisierung

In seiner Eröffnungsrede betonte Werner Neveling das enorme Wachstumspotential der Pflege sowie deren Bedeutung als Jobmotor. Um bis zum Jahr 2030 die bundesweit gut 200.000 benötigten Pflegekräfte stellen zu können, seien die Akademisierung und Professionalisierung des Pflegeberufes zwingend notwendig. In gleicher Richtung äußerte sich Prof. Dr. Anne Friedrichs. Akademisierung, betonte die Präsidentin der hsg, sei in dieser Hinsicht jedoch nicht als Handlungsmanier zu verstehen, nach der die Pflegewissenschaft den Fachkräften aus dem „Elfenbeinturm“ heraus die Ausübung des Pflegeberufes diktierten. Vielmehr sei eine stärkere Verknüpfung von Theorie und Praxis anzustreben. „Dabei ist der EVR ein wichtiger Partner. Sein Wort hat Gewicht“, sagte die Hochschulpräsidentin.
Als gelungenen ersten Schritt nannte sie die Evaluation der Modellstudiengänge zur Weiterentwicklung der Pflege- und Gesundheitsfachberufe, auch in Hinsicht auf deren Regelung im künftigen
Pflegeberufsgesetz.
Ministerin Steffens fordert bedarfsorientierten Qualifikationsmix

„Wir brauchen die wissenschaftliche Begleitung am Bett“, unterstrich auch NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens in ihrem Vortrag zu neuen Versorgungsstrategien. So sei der Nachweis der Wirksamkeit pflegerischer Leistungen und Prozesse dringend erforderlich, um deren Qualität verbessern zu können. Darüber hinaus benötige es Wege zu einem breiteren und bedarfsorientierten Qualifikationsmix. Schließlich sei der derzeit angewandte Fachkraftschlüssel ohne wissenschaftliche Grundlage entstanden und bereits von der Wirklichkeit überholt worden. Denn die Bedarfe Pflegebedürftiger, so Steffens, hätten sich gerade im Hinblick auf zunehmende Multimorbidität stark verändert. Angesichts des bestehenden Handlungsdrucks verwies die Ministerin dennoch auf die dringliche Notwendigkeit zur Schaffung finanzieller Voraussetzungen. So seien die erforderlichen Reformen zur Personalbemessung mit dem Pflegestärkungsgesetz II der Bundesregierung aktuell nicht zu bewältigen. „Das Risiko ist groß, dass wir in den Pflegenotstand rutschen“, so Steffens.
Generalistische Pflegeausbildung: Quantität vs. Qualität?

Im weiteren Verlauf der von Journalistin Gisela Steinhauer moderierten Veranstaltung wurde insbesondere das Thema der generalistischen Pflegeausbildung kontrovers diskutiert. Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, machte sich stark für die Generalistik. Diese, betonte sie, motiviere und mache die Pflegeausbildung durch die großen Wechselmöglichkeiten attraktiver. Der Befürchtung eines Qualitätsverlustes der Ausbildungsinhalte hielt Loheide die Vorteile eines neuen Berufsbildes und neuer Inhalte entgegen. Barbara Steffens hingegen kritisierte den Verlust spezialisierten Wissens. Insbesondere der Bereich der Kinderkrankenpflege komme zu kurz, sodass über ein Herauslösen aus dem generalistischen Modell nachgedacht werden solle. Darüber hinaus verschaffe die Höhe der jeweils von den Ausbildungsbetrieben zu leistenden Wertschöpfungsanteile ambulanten Diensten einen Vorteil gegenüber Anbietern im stationären Bereich.
4. EVR-Forum als Auftakt künftiger Kooperationen
In weiteren wissenschaftlichen Beiträgen und Workshops wurden die diskutierten Leitthemen weiter vertieft. Am Ende des Tages stand schließlich ein Tenor: Pflegewissenschaft und Pflegeberuf müssen und wollen die künftigen Herausforderungen gemeinsam meistern. Werner Neveling und Prof. Dr. Anne Friedrichs griffen diese in ihrem Schlusswort auf und bezeichneten den Kongress mit seinen offenen und konstruktiven Diskussionen als gelungenen Auftakt für den anstehenden gemeinsamen Weg.
Zum Evangelischen Verbund Ruhr
Der Evangelische Verbund Ruhr (EVR) ist ein Zusammenschluss der Diakonie Ruhr und der Evangelischen Krankenhausgemeinschaft Herne | Castrop-Rauxel. Die seit Juli 2011 bestehende Holding macht die beiden Partner-Unternehmen zum größten Evangelischen Arbeitgeber in der Region. Ziel des Zusammenschlusses ist es, an jedem Standort der beiden Partner umfassende Gesundheits- und Versorgungsleistungen aus einer Hand zu entwickeln.
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