„Pantoffelnähe“ und Gemeinschaft zeichnen Dorf in der Stadt aus
2. EVR-Forum schaut hinter den beliebten Begriff Quartier

Bochum, 28. Februar 2014. Wenn das Quartier die zukünftige Handlungsebene sein soll, muss die Arbeit dort auch angemessen finanziert werden. Das ist ein Fazit des 2. EVR-Forums in Bochum. 220 Fachleute aus Sozialwirtschaft, Verwaltung und Politik waren der Einladung des Evangelischen Verbunds Ruhr in die Stadtparkgastronomie gefolgt, um sich zum Thema „Quartier…inklusive“ auszutauschen und hinter den beliebten Begriff zu schauen.
EVR-Geschäftsführer Werner Neveling legte eingangs nachdenklich stimmende Zahlen zur demographischen Entwicklung in Nordrhein-Westfalen vor. Die Zahl der Pflegebedürftigen wird von 548.000 auf 945.000 im Jahr 2050 steigen. Legt man die bisherige Verteilung zwischen ambulanter und stationärer Unterbringung zugrunde, werden 652.000 davon zu Hause gepflegt werden. Da immer weniger Menschen von Familienangehörigen versorgt werden, kommt eine Herkulesaufgabe auf die bereits jetzt mit Fachkräftemangel kämpfenden Pflegedienste zu. „Wenn wir nicht wollen, dass die Zahl der zu Hause gepflegten Menschen abnimmt, müssen wir die ambulante Pflege ausbauen“, betonte Neveling. „Wir brauchen eine Quartiersentwicklung, die hilft, das demographische Problem zu lösen.“
Den EVR-Chef stört besonders, dass stets mit den Finanzen argumentiert wird. „Wenn wir über eine menschenwürdige Versorgung sprechen, dürfen nicht die Kosten in den Vordergrund gestellt werden“, sagte Neveling. Eine niedrige Rente dürfe zudem kein Ausschlusskriterium für eine quartiersnahe Versorgung sein.
Dem Quartiersbegriff kritischer gegenüber stand Dr. Jürgen Gohde, Vorsitzender des Kuratoriums Deutsche Altershilfe. „Es gibt auch ältere Menschen, die ein Netzwerk über die ganze Stadt gesponnen haben, und darauf erfolgreich zurückgreifen. Quartier bedeutet nicht automatisch Nachbarschaft“, sagte er.

Baurat Dr. Ernst Kratzsch gab einen Einblick in die Bochumer Quartiere und darin, wie die Stadt gegen veralteten und schlecht instand gehaltenen Wohnraum kämpft. Um mehr barrierefreie und renovierte Wohnungen mit modernen Zuschnitten zu bekommen, seien besonders die Eigentümer in der Pflicht. „Viele Stadtteile leiden darunter, dass Immobilienbesitzer sich nicht kümmern oder nicht mit anderen zusammenarbeiten wollen“, sagte Kratzsch.
Welche Gemeinsamkeiten ein lebenswertes Quartier für Senioren und eines für Menschen mit Behinderung haben, stellte Torsten Bölting dar. Der Leiter des Landesbüros altengerechte Quartiere NRW sprach neben Barrierefreiheit von einer „Pantoffelnähe“ der Versorgung und Beratung, von einem „Dorf in der Stadt“. In einem der vier Workshops diente später das Appartementhaus der Diakonie Ruhr in Bochum-Weitmar als Beispiel dafür, wie sich Menschen auch mit schweren Behinderungen in lebendige Stadtviertel integrieren lassen.
Am Nachmittag diskutierten die Teilnehmer mit den Landtagsabgeordneten Josef Neumann (SPD) und Arif Ünal (Grüne) und Norbert Killewald, Beauftragter der Landesregierung für Menschen mit Behinderung. Die Forderung an die Politik: Weg vom „Operieren in einem Möglichkeitsraum“ hin zu konkreten Maßnahmen für das Quartier.